August Ebinger wurde am 15.02.1888 in Germersheim geboren und verstarb am 29. Februar 1960 in Ludwigshafen. Er wuchs in einem christlichen Elternhaus auf. Im 1. Weltkrieg wurde er 1914 als Soldat eingezogen. Nachdem er im November 1918 noch als vermisst in den Verlustlisten der Bayrischen Regimenter aufgeführt ist,(https://files.genealogy.net/verlustlisten/27601.jpeg)
wird er im 21. Juli 1919 als „in Gefangenschaft“ verzeichnet.(https://des.genealogy.net/search/show/6524050).
Erst im Dezember 1919 kam er aus der Gefangenschaft zurück (August Ebinger, Antrag auf Wiedergutmachung vom 5.11.1951).
Zunächst als Hilfsbrückenwärter und ab 1922 als Brückenwärter sowie etwas später als Stadtrat für die Zentrumspartei erkämpfte er sich nach der Kriegserfahrung wieder einen Platz in seiner Heimatstadt. Germersheim litt unter einer schweren Wirtschaftskrise, da nach Ende des 1. Weltkrieg alle Truppen, von denen Germersheim als Garnisonsstadt gelebt hatte, abgezogen worden waren. Als die französische Besatzungsmacht die Festungsanlagen schleifte, wie im Vertrag von Versailles vereinbart, hatte die Stadt nicht einmal Mittel zur Beseitigung der Trümmer. Die Arbeitslosenzahlen stiegen rasant, die Bevölkerung hungerte.
(Kißener, Michael. „Germersheim im 20. Jahrhundert“. In Germersheim im 20. Jahrhundert. Wege einer Festungsstadt in die Mitte Europas. Hrsg. Michael Kißener. Verlag Regionalkultur 2008, S. 25-26)
Von der Armut der Germersheimer profitierten die Nationalsozialisten, die seit dem Abzug der Franzosen aus Germersheim im Jahr 1931 verstärkt öffentlich auftraten. Nachdem im Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, wurden im März Wahlen abgehalten, bei denen die NSDAP fast die Hälfte der Wählerstimmen in Germersheim erhielt. Am 7. März 1933 rief Bürgermeister Heinrich Reible den Stadtrat zusammen, weil die NSDAP unerlaubterweise eine Hakenkreuzfahne am Stadthaus gehisst hatte. In der Sitzung beantragte Ebinger die Fahne sofort und notfalls mit Gewalt entfernen zu lassen. Als einziger Stadtrat trotzte er den Drohungen des NSDAP-Ortsgruppenleiters Wüchner, ein letztes mutiges Einstehen für die Demokratie in Germersheim. Sein Antrag wurde im Rat abgelehnt. Wie er befürchtet hatte, war dies der Beginn einer Reihe von Zwangsmaßnahmen, Erpressungen und und Einschüchterungen. Bürgermeister Reible trat auf Druck der NSDAP zurück, und der Finanzbeamte Fritz Wolf, NSDAP-Parteimitglied, wurde wenige Tage später zum Bürgermeister ernannt. Er besetzte den Stadtrat sofort mit Gefolgsleuten und ließ, nachdem die SPD bereits deutschlandweit verboten worden war, die letzten Germersheimer Zentrumspolitiker in Schutzhaft nehmen, bis sie ihren Rücktritt erklärten.
(Kißener S. 33-34).
An dem einzigen Stadtrat, der Widerstand geleistet hatte, sollte zur Abrundung der Aktion ein Exempel statuiert werden, denn die NSDAP hielt Ebinger für die graue Eminenz in der Stadtpolitik. Am 22. Juni 1933 wurde er verhaftet und zusammen mit dem jüdischen Viehhändler Otto Mohr auf den Königsplatz geführt. Dort inszenierte eine NSDAP-Gruppe ein Schmäh-Spektakel, das als „Germersheimer Schand-Marsch“ in die Annalen einging. Die beiden Männer wurden mit umgehängten Schildern einer hämisch johlenden Menschenmenge ausgeliefert. Auf Ebingers Schild stand: „Ich bin der Hauptschuldige am Ruin der Stadt“. Es folgte ein Spießrutenlaufen durch die Straßen Germersheims, bei dem die Bewohner ihren Hass an den Männern ausließen. Ebinger erlitt einen Nervenzusammenbruch und kam ins Krankenhaus (Kißener S. 35).
Kurz darauf wurde er nach Schweinfurt zwangsversetzt. Die Pfalz durfte er nicht mehr betreten, sein Haus und seine Familie nicht mehr besuchen. Seine Frau Barbara und seine fünf Kinder litten unter der Trennung und wurden als zurückgebliebene Familienmitglieder immer wieder schikaniert. Ebingers Antrag auf Wiedergutmachung von 1951 ist zu entnehmen, dass er als einfacher Finanzbeamter 1936 nach Reinheim/Odenwald versetzt wurde und 1940 nach Worms. 1936 ließ er seine Familie nachziehen, weil er zwei Haushalte nicht unterhalten konnte. Die Kinder wurden dadurch aus der Schule und aus Ausbildungsverhältnissen herausgerissen und die Umzüge verhinderten, dass die Familie außerhalb der Pfalz sesshaft wurde. Dem jüngsten Sohn Hermann wurde beispielweise trotz guter Noten der Besuch des Gymnasiums verwehrt, weil sein Vater als „Volksschädling“ galt. Haus und Grundstück in Germersheim gingen verloren. Eine normale Laufbahn im Finanzamt blieb Ebinger verwehrt, erst 1947 wurde er zum Obersteuersekretär befördert.
In Germersheim wurde nach Kriegsende zunächst ein Verwaltungsbeamter von den amerikanischen Truppen als Bürgermeister eingesetzt, bis sich herausstellte, dass er Parteimitglied der NSDAP gewesen war. Nachdem die Franzosen als Besatzungsmacht der Region übernommen hatten, besannen sie sich auf den wehrhaften ehemaligen Stadtrat Ebinger, der kein Parteimitglied der NSDAP gewesen war und im Krieg aufgrund seines Alters nicht gekämpft hatte. 1945 zog Ebinger, der zu der Zeit in Worms als Hausmeister im Finanzamt arbeitete, zurück nach Germersheim, um das Bürgermeisteramt zu übernehmen. Bei den Gemeinderatswahlen vom 15.9.1946 erhielt er als Gründungsmitglied der neuen Pfälzer CDU mit Abstand die meisten Stimmen und wurde in seinem Bürgermeisteramt bestätigt, das er bis 1952 bekleidete (Kißener S. 50-52). Von 1949 bis 1953 war er auch Kreisvorsitzender der CDU (https://www.cdu-kreis-ger.de/kreisvorstand/).
Die Entnazifizierung der Stadt war seine erste wichtige Aufgabe. Später wurde ihm viel Lob gezollt für den besonnenen Umgang mit seinen früheren Peinigern (Pfälzer Tageblatt vom 14.02.1958), aber während er zu Beginn der Prozesse deutliche Zeugenaussagen machte, wurde er später zurückhaltender, wohl frustriert von dem zögerlichen Umgang mit der Vergangenheit (Kißener, S. 56). Während seiner Amtszeit kämpfte er mit ähnlichen Problemen wie vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten: in der ersten Sitzung des Stadtrats (17.01.1946) wurde ein Zuzugsverbot erlassen, weil in Germersheim nicht genügend Nahrungsmittel und Wohnraum zur Verfügung standen. 1947 und 1948 war die Lage der Bevölkerung verzweifelt, es fehlte vor allem in den Wintern an Brennstoff. Landesmittel für den Wiederaufbau der von den Nazis bei ihrem Rückzug gesprengten Brücke über den Rhein wurden nicht zur Verfügung gestellt. Die Ansiedlung von Industrie in Germersheim kam nur schleppend voran.
(„Germersheim auf dem Weg zur Industriestadt“, Rheinpfalz, 17.2.2019)
Es muss August Ebinger wie ein schreckliches Déjà-vu vorgekommen sein, als die CDU die Wahlen von 1952 dramatisch verlor und die Liste Fritz Wolf gewann. Jener Fritz Wolf, der 1933 bis 1936 bereits Bürgermeister in Germersheim gewesen war, als Ebinger gedemütigt und verbannt wurde, war nun wieder an der Macht.