(Stolperstein Oberamtsstraße 14)
Vier Wochen, bevor Adolf Hitler im Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, hatte die verwitwete Auguste Dreyfuß ihren 73. Geburtstag gefeiert. Sie bewohnte ein Gebäude in der Oberamtsstraße 203, das Nachbarhaus der Synagoge, gegenüber der früheren Offiziers-Speiseanstalt (Casino) gelegen. In diesem Haus hatte ihr 1897 verstorbener Vater Sigismund Dreyfuß eine Kurz- und Wollwarenhandlung betrieben. Seit dem Tod ihrer Mutter 1901 führte Auguste Dreyfuß das Geschäft allein weiter, bis sie es in den 1920er Jahren den Geschwistern Schmitt verpachtete, die im Ladenlokal ein Kolonialwarengeschäft betrieben.
Da die jüdische Händlerin sehr zurückgezogen lebte, gelang es ihr zunächst, den auf Ausgrenzung und Demütigung zielenden Aktivitäten der Nationalsozialisten auszuweichen. Mitte September 1935 war aber auch für Auguste Dreyfuß die Situation unerträglich geworden: Durch die Nürnberger Gesetze deklassierte das NS-Regime deutsche Jüdinnen und Juden zu Personen minderen Rechts und Werts. Das „Reichsbürgergesetz“ erklärte sie zu bloßen Staatsangehörigen ohne Bürgerrechte. Ab sofort wurde ihnen beispielsweise die Anstellung von „arischen“ Haushaltshilfen unter 45 Jahren verboten. Das betraf Auguste Dreyfuß unmittelbar, denn in ihrem Haushalt arbeitete die aus Kuhardt stammende Juliana Burck.
Dreyfuß verstarb im Mai 1939. Dieser Zeitpunkt ersparte der vermögenden Rentnerin immerhin die Deportation, die im Herbst des Folgejahrs stattfand. Zehn Tage vor ihrem Tod hatte Dreyfuß „durch eigenhändiges Testament“ der Stadt Germersheim vier Fünftel und ihrer inzwischen verheirateten langjährigen Hausgehilfin Burck ein Fünftel des Wertes von je zwei Wohnhäusern und landwirtschaftlich genutzten Grundstücken vererbt. Nach der Prüfung verschiedener juristischen Aspekte fielen 1942 der Stadt unter NSDAP Bürgermeister Otto Angerer die Grundstücke zu. Die Stadtkasse Germersheim kassierte außerdem die 7666 Reichsmark, eine in der Zeit erhebliche Summe, die Dreyfuß in ihrem Testament ausdrücklich den Armen der Stadt zugedacht hatte