Familie Schwall

Familie Schwall (in den 1920er Jahren in Sondernheim gelebt)

Die freiberuflich tätigen Schauspieler Arthur Schwall und Eva Heitner, die Eltern des 1923 in Sondernheim geborenen Hans Helmuth, hatten 1922 in Berlin geheiratet und waren später nach Karlsruhe-Daxlanden gezogen, in die Heimatgemeinde des Bräutigams, der aus einer alteingesessenen Gastwirtsfamilie („Krone“) stammte. Der mäßige künstlerische Erfolg zwang Arthur Schwall nebenberuflich als Inspektor bei der Ziegelei Sondernheim zu arbeiten, wo auch sein Sohn zur Welt kam. Ab 1929 betrieb er hauptberuflich das Kino „Kronen-Lichtspiele“ in Daxlanden.

Seine in Berlin geborene und aufgewachsene, nicht-orthodoxe jüdische Ehefrau, Tochter eines selbständigen Kostümschneiders, startete laut einem 1957 verfassten Entschädigungsantrag ihre Bühnenlaufbahn 1915 an diversen Theatern in Berlin, erhielt 1917 ein langfristiges Engagement am Großherzoglichen Hoftheater in Oldenburg und spielte später an der Hessischen Landeswanderbühne in Darmstadt. Nach ihrer Heirat im November 1922 waren sie und ihr Ehemann am Vereinigten Stadttheater Aarau und Chur in der Schweiz engagiert, dann ab 1926 in Karlsruhe an der Badischen Bühne, bis das nationalsozialistische Regime Eva Schwalls Bühnentätigkeit ein Ende bereitete.

Unter den Nationalsozialisten bedeutete die rassenbedingte Nichtaufnahme in die Reichskultur- bzw. Reichstheaterkammer für die 36-jährige Schauspielerin das berufliche Aus. Ihre „privilegierte Mischehe“ mit einem Christen schützte sie nicht vor Diskriminierung. Eva Schwall verkaufte Eintrittskarten im Kino ihres Mannes, bis ihr auch das 1936 vom Ortsgruppenleiter der NSDAP verboten wurde. Weitere Schikanen der Gestapo folgten. Sie erhielt beispielsweise Vorladungen, weil sie im „deutschen Wald“ Blumen gepflückt hatte und weil sie keinen Judenstern trug, obwohl sie dazu als Frau eines Ariers nicht verpflichtet war. Als sie einer Germersheimer Jüdin, Bertel Kahn, die ins französische Lager Gurs deportiert worden war, ein Paket schickte, wurde sie auch deshalb angefeindet. 

Anfang Februar 1945 sollte sie zusammen mit allen anderen in Mischehen lebenden, noch in Karlsruhe ansässigen Jüdinnen und Juden in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert werden. Arthur Schwall wandte sich in seiner Not an den befreundeten Frauenarzt Dr. Philipp Schmid, dessen antinazistische Haltung bekannt war. Der Arzt verabreichte ihr eine Spritze, die hohes Fieber verursachte. Daraufhin wurde Eva Schwall vom Amtsarzt als transportunfähig erklärt. Das Ehepaar lebte aber weiter in ständiger Angst.

Am 4. April 1945 besetzte französisches Militär die badische Landeshauptstadt. Eva Schwall war nun sicher, ihre Gesundheit jedoch dauerhaft angegriffen in Folge des Berufsverbots und der Angst vor Deportation. Sie litt zeitlebens an Herzattacken, lähmender Todesangst und Verfolgungswahn. Ihr Antrag vom August 1949 auf Wiedergutmachung wurde im Februar 1953 abgewiesen. Das Urteil stützte sich auf ein Gutachten der Heidelberger Rudolf-Krehl-Klinik, das die psychischen Beeinträchtigungen auf Wechseljahrbeschwerden zurückführte, die Verfolgung nur als „mitverantwortlichen Faktor“ wertete und lediglich eine Erwerbsminderung von 30 Prozent veranschlagte. Als Schwalls Anwalt 1957 in Revision gehen wollte, einigte man sich schnell auf eine monatliche Rentenzahlung in Höhe von 147 DM. Nach nervenaufreibendem zehnjährigem Ringen akzeptierte die nunmehr 62-Jährige eine Kapitalentschädigung von 7.500 DM.  

Hans Helmuth Schwall wurde am 27. September 1923 in Sondernheim geboren, seit 1972 Stadtteil von Germersheim. Gemäß den Nürnberger Rassengesetzen zählte er als Sohn einer jüdischen Mutter zur Kategorie der „Mischlinge ersten Grades“. Er musste gegen seinen Willen Mitglied in der Hitlerjugend werden (ab 1.12.1936 bestand für alle Kinder ab 10 Jahren Zwangsmitgliedschaft), nur um wenig später wegen seiner nicht-arischen Mutter ausgeschlossen zu werden. Inzwischen waren alle anderen Jugendorganisationen und Vereine verboten. Selbst in der Gaststätte des Onkels war die Familie nicht mehr willkommen. Mit 18 Jahren wurde Hans Helmuth Zeuge eines Verhörs seiner Mutter durch die Gestapo. 

Hans Helmuth Schwall besuchte die höhere Handelsschule und wollte von dort nach abgelegter Prüfung auf die Oberhandelsschule wechseln, um das Wirtschaftsabitur zu erlangen. Er bestand die Prüfung nicht und erklärte dies später mit seiner Abstammung, da Halbjuden keine höheren Schulen mehr besuchen sollten. Schließlich machte er eine Lehre und arbeitete für die Badische Zeitung in Karlsruhe. 1941 wurde er gemustert, allerdings mit dem Zusatz „nicht zur Verwendung“. Er konnte also nicht eingezogen werden und blieb bei der Badischen Presse, in der auch die Lebensmittelkarten für Karlsruhe gedruckt wurden. Beim sogenannten Arbeitseinsatz im März 1944 wurden im Karlsruher Hauptbahnhof etwa 2000 Personen, jüdische Mischlinge, Männer von Jüdinnen sowie Roma nach Saarlouis gebracht. Hans Helmuth gehörte zu dieser Gruppe. Seinen Eltern wurde unmissverständlich erklärt, dass sie ins KZ gebracht würden, falls ihr Sohn fliehen sollte. 

In Frankreich mussten die Deportierten zusammen mit entlassenen Strafgefangenen bis September 1944 in zwölfstündigen Tag- und Nachtschichten unterirdische Lager- und Produktionsräume am Hochufer der Seine bauen. Im August 1944 wurde Schwall als LKW-Fahrer für eine Transporteinheit bei Rouen requiriert, um den Rücktransport vor den vorrückenden Alliierten zu unterstützen. Schließlich erhielt er zusammen mit anderen Zwangsarbeitern einen Marschbefehl nach Essen. Von dort gelang es ihm, nach Karlsruhe zurückzukehren. Die Familie hatte also den Weltkrieg und die Repressalien der Nationalsozialisten überlebt, aber einen hohen Preis bezahlt.