Flora Weil

Flora Weil (in Germersheim geboren)

Die Biografie der am 4. Oktober 1884 in Germersheim geborenen Flora Weil weist aufgrund fehlender Daten einige Lücken auf, zeigt aber anhand der vielen Umzüge der Familie, dass das Leben jüdischer Menschen überall von Einschränkungen und Demütigungen geprägt war. Ihr Vater Albert Scharff betrieb während der 1880er Jahre eine kleine Zigarrenmanufaktur in Germersheim. Anschließend führte er ein Tabak- und Schuhgeschäft in Landau/Pfalz, aus der er und seine Ehefrau Marie stammten. Flora Scharff verließ die Südpfalz 1905, als sie den am 13. August 1872 geborenen Kaufmann Theodor Weil heiratete und mit ihm nach Straßburg zog. Dort wurde am 28. Juni 1906 ihre Tochter Gertrud geboren, das einzige Kind der Eheleute. Theodor Weil betrieb gemeinsam mit dem älteren, kränkelnden Firmengründer Seligmann Weil seit 1905 das Familienunternehmen, die Branntweinbrennerei und Likörfabrik S. Weil & Cie. Ab 1912/13 führte er das Unternehmen allein weiter.  

Im Ersten Weltkrieg führte die kriegsbedingte Kontingentierung zu erheblichen Verlusten der Firma. Nach Ende des Kriegs musste Deutschland Elsass-Lothringen an Frankreich zurückgeben und es binnen weniger Wochen räumen. Frankreich verfolgte dabei einen rigiden Kurs der politisch-kulturellen Assimilation. „Unzuverlässige“ und „deutschgesinnte“ Personen wurden mit Hilfe von fragwürdig agierenden Selektionsausschüssen aufgespürt und ausgewiesen. Das betraf zunächst etwa 200.000 sogenannte „Altdeutsche“, also Einwohner, die selbst oder deren Eltern bzw. Großeltern zwischen 1870 und 1918 aus dem Reichsgebiet ins Elsass und nach Lothringen gekommen waren. Dazu gehörte das Ehepaar Weil. Das Familienoberhaupt präsentierte sich zwar frankophon als „Théodor Weil, distillateur, 42, Bvd. de Lyon“ im Adressbuch der Stadt Straßburg für 1920, musste die Wahlheimat aber dennoch verlassen. Die Vertriebenen durften nur 30 Kilogramm Handgepäck sowie 2.000 Mark Bargeld mitnehmen. Alle übrigen Besitztümer konfiszierte der französische Staat.

Theodor und Flora Weil und ihre fast 14-jährige Tochter Gertrud trafen am 6. Juni 1920 in Landau ein, um in der von wirtschaftlicher Not und französischer Besatzung überschatteten Nachkriegszeit eine neue Existenz aufzubauen. Anfang 1924 übernahm Theodor die Leitung der Pfalzbrennerei AG in Landau. Die Familie hatte später hohe Schulden. Die Verbindlichkeiten könnten auf das erfolglose Bemühen zurückzuführen sein, geschäftliche Schieflagen durch die 1929/30 einsetzende Wirtschaftskrise auszugleichen, denn Direktor Weil haftet als Gesellschafter der Brennerei persönlich.

Die Familie geriet unter immer stärkeren Druck nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1933. Als die Gauleiter Bürckel und Wagner im Oktober 1940 die in ihren saarpfälzischen und badischen Machtbereichen verblieben jüdischen Menschen ins südfranzösische Lager Gurs abschoben, waren Theodor und Flora Weil bereits nach Köln gezogen und ihre inzwischen verheiratete Tochter war emigriert. 1925 hatte die Synagogengemeinschaft in Köln rund 20.000 Mitglieder, von denen sich etwa die Hälfte durch Emigration retten konnte. Die übrigen wurden zunächst, wie auch das Ehepaar Weil, in sogenannten Ghettohäusern zusammengepfercht. Am 23. August 1941 beschloss die Stadt angesichts des nach britischen Luftangriffen knapp gewordenen Wohnraums, diese Wohnungen Bombengeschädigten zuzuweisen und Jüdinnen und Juden in Sammellagern zu kasernieren. Auch das Ehepaar Weil lebte unter katastrophalen Zuständen im Sammellager Müngersdorf, ohne fließendes Wasser und ohne Anschluss an die Kanalisation.

Im Oktober 1941 begannen in Köln die Deportationen in Ghettos und Vernichtungslager. Zunächst wurden etwa 3.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder in Waggons nach Litzmannstadt und Riga gebracht. Die Lage verschlimmerte sich für die in den unbeheizten und feuchten Räumen Zurückgebliebenen zusätzlich durch den harten Winter im Jahr 1941/42 und noch einmal Anfang Juni 1942, als nach einem Bombenangriff das Israelitische Asyl für Kranke und Altersschwache in Köln-Ehrenfeld nach Müngersdorf verlegt werden musste. Aus Platzmangel wurden Alte und Kranke bei Familienangehörigen einquartiert, die bereits im Lager lebten. Die hygienischen Zustände und die große Zahl von kranken und körperlich geschwächten Personen führten zu einem signifikanten Anstieg der Todesfälle. Die Verwaltung des Lagers oblag den Vertretern der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland Bezirksstelle Rheinland (RVJ), eine Organisation, die von den Nationalsozialisten eingerichtet worden war und in der alle Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen als jüdisch galten, Mitglied werden und Pflichtbeiträge entrichten mussten.

Diese Organisation, die unter der Kontrolle der Gestapo und der Behörden stand, musste die Mitglieder über ihre Einweisung in das Deportationslager benachrichtigen, die Umzüge organisieren, Lebensmittel beschaffen und die Mietzahlungen einziehen. Etwa vier Fünftel der Internierten mussten Zwangsarbeit im Lager oder in Fabriken in der Umgebung leisten. Ab Juni 1942 deportierte man weitere 3.500 Menschen von Köln ins Ghetto Theresienstadt sowie direkt in die Vernichtungslager Maly Trostinec/Minsk, Belzec, Sobibor, Treblinka und Auschwitz-Birkenau. Unter diesen befand sich das Ehepaar Weil, dessen Transportzug das Ghetto Theresienstadt am 16. Juni 1942 erreichte. Am 19. September 1942 wurden sie ein letztes Mal verschleppt, diesmal ins Vernichtungslager Treblinka. Am 21. oder 22. September 1942 fanden sie dort den Tod.